Gastvortrag

Hiermit laden wir alle interessierten Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Gäste des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache ein. Frau Dr. Pascale Erhart (Université de Strasbourg) hält einen Vortrag zu : Inwiefern können die Sprecher der elsässischen Mundarten als deutsche Sprachminderheit in Frankreich betrachtet werden? Mittwoch, 29. Mai 2019, 14 Uhr, IDS-Vortragssaal Abstract: 2019 wird Französisch von den meisten Elsässern als natürliche legitime Sprache betrachtet und gesprochen, auch im privaten Bereich, und auch von denen, die von sich angeben, dass sie eine elsässische Mundart sprechen. Eine im Jahr 2012 von einem privaten Institut durchgeführte Studie zeigt einen deutlichen und sich beschleunigenden Rückgang der Zahl der Mundartsprecher: 43% der Einwohner gaben an, Elsässisch zu sprechen, gegenüber 86% im Jahr 1946. Der Trend der Abnahme der Weitergabe der Mundart ist seit 1979 belegt, doch wird die Weitergabe immer noch seltener: Von den 18- bis 24-Jährigen bejahen 2012 nur noch 12% die Frage nach Mundartkenntnissen. Da die fränkischen und alemannischen Mundarten, die im Elsass gesprochen werden, aus diachroner Sicht deutsche Dialekte ausmachen, könnten aus dieser quantitativen Hinsicht die elsässischen Mundartsprecher als deutsche Sprachminderheit in Frankreich betrachtet werden. Andere, qualitative Faktoren, im Besonderen die komplexen Einstellungen der Sprecher den Mundarten und der deutschen Standardsprache gegenüber, erlauben es jedoch nicht, ohne differenziertere Überlegung auf diese Kategorisierung zurückzugreifen. Auffällig ist nämlich, dass die Mundarten fast nie als Deutsch oder als deutsche Dialekte von den Sprechern bezeichnet werden, sondern als Elsässisch (frz. „alsacien“) (manchmal noch als Elsässerditsch) oder als „der Dialekt“ (frz. „le dialecte“). In der Öffentlichkeit und besonders im Schulwesen wird dagegen Standarddeutsch als «Regionalsprache» anerkannt. Diese problematische Differenzierung wird im ersten Teil des Vortrags anhand von Aussagen von Sprechern im Kontext von Erhebungen, die zwischen 2012 und 2014 im Elsass durchgeführt wurden, thematisiert. In einem zweiten Teil wird die Rolle der sozialen Medien in der schriftlichen Entwicklung der elsässischen Mundarten und in deren Behauptung als eigenständige Sprache eingegangen. Die Entwicklung der digitalen Mittel und der neuen sozialen Medien seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat zu einem Schreibbedarf im Dialekt geführt, den es vorher nicht gab: Die Mundartsprecher können heute z.B. SMS oder Posts in sozialen Netzwerken auf Elsässisch schreiben. Dieser ganz neue Sprachgebrauch spiegelt die problematischen Verhältnisse der elsässischen Mundartsprecher zu ihren verschiedenen Varietäten wider: Einerseits ist die überwiegende Mehrheit von ihnen gewöhnt, nur auf Französisch zu schreiben, andererseits nimmt die Kenntnis des Schriftdeutschen immer mehr ab, so dass die schriftlichen Formen der Mundart, die in den sozialen Medien benutzt werden, meistens als einzig- und eigenartig betrachtet werden können. Literatur:
  • ED Institut (2012) : Etude sur le dialecte alsacien. URL: www.edinstitut.com
  • Erhart, Pascale (erscheint): « Wird der Rhein als « Grenze » im alemannischen Sprachraum am Oberrhein wahrgenommen? », in: Pfeiffer, Martin/Streck, Tobias & Andrea Streckenbach (Hrsg.): Themenheft von Linguistik online mit Beiträgen zur 19. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie.
  • Huck, Dominique (2015): Une histoire des langues de l’Alsace. Strasbourg: La Nuée Bleue.