Jahrestagung 1995

Deutsch - typologisch

Das IDS tagte vom 14. - 16. März in Mannheim zum Thema "Deutsch-typologisch. Zur Stellung des Deutschen im Spektrum der Sprachen".

Zahlreiche Fassungen und Auffassungen zur Typologie des Deutschen kamen während der Jahrestagung des IDS in mehr als zwanzig Vorträgen, in anschließenden Diskussionen, Pausengesprächen und bei abendlichem Gedankenaustausch auf den Prüfstand.

Und es wurde kaum ein Aspekt ausgelassen: Morphologie, Syntax, Phonologie, Orthographie luden zur Begutachtung neuer linguistischer Erkenntnisse ein. Die Vielfalt der vorgestellten typologischen Untersuchungen macht die Arbeit am Typologischen Porträt des Deutschen interessanter, wenn auch nicht einfacher.

"Wichtig für eine Beschreibung des Deutschen ist die Beschreibung des Deutschen." In seinem Überblicksreferat veranschaulichte Bernard Comrie (Los Angeles) diese Notwendigkeit durch die Typologisierung syntaktischer Konstruktionen in verschiedenen mit dem Deutschen verwandten und nicht verwandten Sprachen. Untersuchungsgegenstände waren die Kasusmarkierung nominaler Prädikate, die Objekt-Hebung, Relativ- und Nominalsätze sowie der Tempus-Aspekt.

Aus dem Blickwinkel der Psycholinguistik betrachtete Joachim Grabowski (Mannheim) die Raumpräposition "vor" und "hinter" in fünf Sprachen. Das Präpositionensystem sei eine wichtige Determinante des Verstehens von Raumpräpositionen. Wie dieses Verstehen in den verschiedenen Sprachen funktioniert und unter welchen Bedingungen "vor" gleich "hinter" sein kann, demonstrierte er anhand einer fahrschulrelevanten Situation: der Aufforderung an Autofahrer, ihr Fahrzeug vor oder hinter einem Objekt anzuhalten.

Mit ihrem Vortrag "Morphologie: zum Beispiel Fugenelemente" brachte Nanna Fuhrhop (Berlin) "Ordnung ins Fugenchaos". Typologisch interessant sei besonders die Ablösung der Fuge von der Flexion und ihre zunehmende Verselbständigung im Deutschen.

Negation, V2 und Satzklammer, grammatische Kategorien und Relationen, Pronomina (stark, schwach oder klitisch), Typologie von Alphabetschriften sowie typologische Grundmuster von Akzent und Intonation waren weitere Themen, die von mehr als dreihundert Sprachwissenschaftlern aufgenommen, erkundet, diskutiert wurden.

Die Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes Allgemeine Sprachwissenschaft, Typologie und Universalienforschung (Berlin) brachten zur Tagung Neuerungen mit, die durchaus praktischer Natur sind. Mit Utensilien aus dem Phonetiklabor bestückt, konnten Tagungsteilnehmer ihre Aussprache am Computer nachverfolgen: Messungen an Gaumen, Zunge und Lippen erschienen auf dem Monitor als verschiedene Berührungen der Sprechorgane miteinander. Dies könnte in einer Weiterentwicklung beim Erlernen einer Fremdsprache als elektronische Lehrhilfe dienen. Ob der Lernende einen Laut richtig oder falsch ausspricht und wie ein Aussprachefehler zu korrigieren ist, würde ihm per Computer visuell und akustisch mitgeteilt werden.

Die Computer-"Maus" des IDS erwies sich - wie könnte es anders sein - als grammatisch äußerst bewandert und zeigte sich auf der Tagung von ihrer klügsten Seite. Sie offenbarte den Gästen ein Computerprogramm, das Grammatikwissen nachschlägt, ausführlich und beispielorientiert mit Hilfe der "Grammatikexpertin" erklärt und unter Begleitung eines Tutors in Übungen und Spielen überprüft.

Bei der Multimediagrammatik "Grammis" (Grundlagen eines grammatischen Informationssystems) handelt es sich um eine Pilotstudie, die seit einem Jahr am Institut für Deutsche Sprache durchgeführt wird. Sie wendet sich vor allem an Gymnasiallehrer der Oberstufe und Studenten sprachwissenschaftlicher Fakultäten. Inhaltliche Grundlage der elektronischen Ausführung ist die am IDS erarbeitete "Grammatik der deutschen Sprache", die mit einem Umfang von ca. 2400 Seiten voraussichtlich im Frühjahr 1996 erscheinen wird.

Insgesamt vermittelte die Tagung neue Sichtweisen auf die grammatische Struktur des Deutschen und gab zugleich Impulse für neue, vertiefende Forschungen zur weiteren Vervollständigung des typologischen Porträts des Deutschen.

(Sabine Danilejko, im: SPRACHREPORT 2/95)