Ausstellung Katharina Dück
07. März bis 27. Juli 2012

Thematische Einführung zur Ausstellung „Masken und Hülsen“
von Marco Jammermann, M.A. am 07. März 2012



[Thematische Einführung durch Marco Jammermann bei der Ausstellungseröffnung]

Verehrte Anwesende, geschätzte Künstlerin,

die Masken und Hülsen, die uns täglich in den verschiedensten Erscheinungsformen und Abstufungen umgeben, mit denen und in denen wir leben und überleben und wohl oder übel leben müssen – diese Masken und Hülsen haben von heute an einen Ort der Anschauung, ein Haus, in dem sie betrachtbar werden und in das sie uns wie Spiegel einladen, über Masken und Hülsen, über Hülsenhaftes und Maskenhaftes, über Maskierung und Demaskierung, über Frucht und Schale, über Gehalt und Form betrachtend nachzudenken.

Zu verdanken haben wir und hat das Haus diesen glücklichen Umstand der Neustädter Künstlerin Katharina Dück, die einen (kleinen) Teil derjenigen ihrer Werke, in denen sie sich dem Thema ‚Masken und Hülsen‘ widmet, von heute an hier in den Räumen des Instituts für Deutsche Sprache ausstellen wird.

Masken und Hülsen sind sichtbar und schon von ihrer eigentlichen Bestimmung her Objekte der Anschauung. Alleine dieser Umstand macht sie reizvoll für Auge, Phantasie und Gestaltungskraft des Künstlers, denn sie sind etwas, das den Blick anzieht, etwas, das Form und Farbe, Linie und Fläche, das Kontur und Volumen besitzt, und sie sind etwas, das im dialektischen Sinne auf Leben und Lebendiges verweist: die Maske auf das, was sie an Lebendigem verbirgt, die Hülse auf das, was einmal ihr lebendiger Inhalt war. Diesem Verweisungscharakter von Maske und Hülse wohnt eine weitere und ganz eigene Dialektik inne, denn dadurch, daß sie etwas Lebendiges verbirgt, wird die Maske nicht zu einem Unlebendigen, und dadurch, daß sie etwas umgab, was nicht mehr da ist, wird die Hülse nicht zu etwas Totem: Maske und Hülse durchweht der Hauch einer eigenen, mitunter geisterhaften und gespenstischen, fremden, verfremdenden aber faszinierenden Lebendigkeit und auch dies macht den Reiz von Masken und Hülsen aus.

Masken und Hülsen, so sehr sie Anschauungsphänomene und Anschauungsobjekte sind, sind eben – und dies ist der spezielle Blickwinkel, aus dem die Künstlerin Katharina Dück sie betrachtet und in ihrem Zeichen schafft – auch ein philosophisches Phänomen, oder vielmehr: Sie sind Ausprägung eines philosophischen Problems: Die Maske und die Hülse setzen – schon sprachlich, d.h. als Begriffe – etwas voraus, das sie maskieren und das sie einhüllen können, ein Substrat, über das sie sich gleichsam legen. Wie weit geht die Maske? Wo hört sie auf und wo beginnt das, was sie maskiert? Verschmelzen Maske und Maskiertes gar räumlich und zeitlich miteinander zur permanenten Maske? Wieviel von der Hülse ist schon oder noch Gehalt? Masken und Hülsen sind Fingerzeige auf die Frage nach der Identität und dem geheimnisvollen Verhältnis von Gehalt und Form und als diese Fingerzeige hat die Künstlerin sie in ihren Werken, die uns ab heute hier in diesem Hause zugänglich sind, zur Gestalt gebracht.

Von einer Werkeinführung wird in einem einführungswütigen Zeitalter wie dem unseren vieles verlangt: Die Einführung soll dem Besucher der Ausstellung helfen, rote Fäden an die Hand reichen, Hintergründe erhellen, Zusatzinformationen geben, beleuchten, Werke und Werkaussagen erklären, die Intention des Künstlers deutlich machen und noch vieles mehr. Sie soll am besten alles. All dies aber, verehrte Anwesende und geschätzte Künstlerin, hieße, den Blick und den Rundgang, das Suchen und vor allem das Zugangfinden zu den Werken vorwegnehmen und – im ungünstigsten Falle – es sogar verhindern. Ein schlechter Laudator wäre ich, wenn ich vorwegnähme und ‚wegerklärte‘ und der Erkenntnis trotzte, daß Masken und Hülsen und die gewaltigen, alle Sinne erfassenden Gedankenräume, die sie umschließen und die die künstlerische Gestaltungskraft reizen, sich eben nicht einfach ‚erklären‘ lassen.

Ich werde in dieser kurzen Einführung deshalb nichts erklären und die ausgestellten Werke der Künstlerin auch nicht in einer imaginären Führung im Stile einer ‚Sightseeing-Tour‘ in Beschreibungen oder Deutungen vorstellen, sondern ich werde nichts weiter als eine Reihe von Fragen formulieren. Fragen, die, wie jene, die gerade schon anklangen, auf jene Gedankengänge verweisen, aus denen heraus die ausgestellten Werke inspiriert worden sind. Diese Fragen mögen ein besserer ‚roter Faden‘ sein als Erklärungen, und sie mögen es deshalb sein, weil dem Betrachter diese Fragen vor und in den ausgestellten Werken wiederbegegnen werden.

Wie lassen sich philosophische Begriffe in Bilder übersetzen, ohne daß das Bild-Werk eine bloße ‚Übersetzung‘ bleibt?

Welche Bedeutung haben Masken und Hülsen in der Sprache? Welches Gesicht haben die von uns entleerten Begriffe noch, wenn sie zu Wort-Hülsen werden? Sind die Worthülsen ihrerseits Masken der Wörter? Wie sieht ein ‚Pferdelachen‘ aus? Und wie ein ‚Fliegengewicht‘? Und welche Gestalt hat der sprachlich nichtgestaltete Teil ihrer Bedeutung?

Welche bildliche Kraft wohnt den von ihren Adepten geschaffenen und hin- und hergeschobenen Worthülsen der Alchemie bei? Was verbirgt sich hinter der schichtenreichen und unergründlichen Maske der Prima materia? Und was überhaupt maskiert die Alchemie mit ihrer Begrifflichkeit?

Wie variiert die Natur das Verhältnis von Gehalt und Form an ihrem Beispiel von Frucht und Schale?

Was von den Grenzen, die die Maske setzt, braucht der Mensch als Lebensgrenzen? Ist die Maske selbst eine Grenze oder ist sie eher Entgrenzung? Ist die Maske Freiheit oder ist sie – Unfreiheit?

Wird der Mensch durch sein Handeln zur Maske seiner selbst? Maskiert sich der große Künstler, der zu seinem eigenen Plagiator wird, selbst? Zieht sich die große historische Gestalt hinter eine Maske zurück? Wachsen Masken um sie herum? Ist die Geschlechtlichkeit eine Maske? Maskiert sich die Frau als Mann und der Mann als Frau?

Was wird uns alles zur Maske – der Beruf, ein Fetisch? Der Schmuck, den wir uns aus unseren Fetischobjekten schaffen? Die grelle Farbe, die Hochglanzoberfläche, die die Augen einhüllt und nach dem Genuß als ausgebrannte Hülsen zurückläßt?

[Ausstellungseröffnung mit der Künstlerin]

Wie weit verschmelzen oder trennen sich Persönlichkeit und Maske in den personae unseres Lebens?

Was offenbart die Maskierung und was verbirgt noch die Demaskierung? Was ist, wenn hinter der Maske sich nichts verbirgt und wenn die Demaskierung zur Maskierung wird?

Sind nicht alle Titel und Namen notwendig Masken und Hülsen?

Und nun, verehrte Anwesende: Zerbrechen Sie die Hülse dieser Einführung und erforschen Sie ihren Gehalt in den Werken, die von heute an in diesem Hause wohnen und auf Ihre und ihre Entdeckung warten. Ich lade Sie zu dieser Erforschung herzlich ein und wünsche Ihnen, wenn Sie im Dienste der Sprache als Beschäftigte dieses Instituts durch die Gänge des Hauses eilen, und Ihnen, wenn Sie als Besucher dieses Hauses durch die Ausstellung wandeln, und allen, die in den nächsten Monaten den Weg in diese Räume finden, unmaskierte, ungeschminkte Freude an den Werken der Künstlerin.