Gerhard Stickel (IDS)

Zur Sprachbefindlichkeit der Deutschen: Ergebnisse einer Repräsentativumfrage

Beitrag zur 34. Jahrestagung des IDS "Sprache - Sprachwissenschaft - Öffentlichkeit"

10. März 1998

(Kurzfassung)

Das Thema der diesjährigen Tagung des IDS (10.-12.3.1998) war Anlass, in einer auf ganz Deutschland ausgedehnten Repräsentativumfrage zu ermitteln, welche Einstellungen und Meinungen die Deutschen derzeit zu ihrer Sprache haben. Die Fragethemen gab das Institut vor. Die Umfrage wurde mit finanzieller Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung von dem Hamburger Meinungsforschungsinstitut GFM-GETAS durchgeführt. Insgesamt 2000 Erwachsene wurden in den alten und neuen Bundesländern befragt. Die Fragen betrafen fünf Themen:

  • die Entwicklung des heutigen Deutsch
  • die regionale Varianz der deutschen Sprache
  • das sprachliche Ost-West-Verhältnis
  • Deutsch und andere Sprachen im Inland
  • die deutsche Sprache in der mehrsprachigen Europäischen Union

Die Umfrage wurde im Dezember 1997 abgeschlossen. Die Daten liegen erst seit einigen Wochen vor, sind also aktuell. Nach der ersten, vorläufigen Auswertung lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:

  1. In Deutschland ist derzeit mit starkem bis mittlerem Interesse an sprachlichen Fragen bei knapp der Hälfte (43.5 %) der erwachsenen Bevölkerung zu rechnen, etwas mehr als die Hälfte (56.5 %) erklärt sich für sprachlich wenig oder gar nicht interessiert.

  2. Rund ein Viertel der Befragten (26.5 %) hält die derzeitige Entwicklung der deutschen Sprache für besorgniserregend, ein weiteres knappes Drittel (30.7 %) für teilweise bedenklich. Erfreulich finden die Sprachentwicklung nur 4.8 %. Die Einstellung zur Sprachentwicklung hängt deutlich von Schulbildung, sprachlichem Interesse und Alter ab.

  3. Unter den negativ bewerteten Erscheinungen der gegenwärtigen Sprachentwicklung fallen vor allem die Anglizismen auf, d. h. die Übernahmen aus dem (amerikanischen) Englisch.

  4. Nach Meinung der Gefragten haben das Fernsehen und die Bildungseinrichtungen einen starken Einfluss auf den allgemeinen Sprachgebrauch, Bücher, Kino und Theater nur einen vergleichsweise geringen. Im Meinungsfeld dazwischen liegen Radio, Familie, Zeitungen, Freunde, die Arbeitsumgebung und die Politik.

  5. Eine besondere Verantwortung für die künftige Sprachentwicklung wird Schulen und Eltern zugesprochen. Es folgen Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und erst danach Schriftsteller.

  6. Die regionale Varianz der deutschen Sprache (d. h. die Dialekte) wird von der überwiegenden Mehrheit positiv bewertet. Mundartlich geprägter Sprachgebrauch wird von fast zwei Dritteln (60.6 %) uneingeschränkt akzeptiert und nur von 4.5 % prinzipiell abgelehnt.

  7. Zu einzelnen Dialekten gibt es deutliche Sympathie- oder Antipathieeinstellungen, wobei die Tendenz zur positiven Bewertung etwas stärker ist. Bayrisch, Sächsisch, Schwäbisch, Berlinisch und Plattdeutsch sind für solche stereotype Bewertungen offensichtlich besonders geeignet.

  8. Die wechselseitige sprachliche Wahrnehmung von Menschen aus den west- und ostdeutschen Bundesländern ist positiver, als Meinungsäußerungen in Politik und Medien bisher zu entnehmen war. Gut drei Viertel der Befragten (76.4 %) sehen zwischen West- und Ostdeutschen keine sprachlich bedingten Verständigungshindernisse, und nur etwa 2,4 % sehen in Sprachdifferenzen ein starkes Verständigungshindernis.

  9. Die durch die sprachlichen Minderheiten in Deutschland gegebene Mehrsprachigkeit (neben Deutsch auch Türkisch, Serbokroatisch, Italienisch usw.) bewertet nur ein Viertel der Gefragten positiv, etwa 17 % negativ. Die Mehrheit (57.2 %) verhält sich zur Mehrsprachigkeit in Deutschland gleichgültig.

  10. Für die deutsche Sprache wünscht sich eine Mehrheit (55 %) eine politisch stärkere Stellung in der Europäischen Union. Zu dieser Frage verhält sich aber auch fast ein Drittel (29,1 %) der Gefragten unentschieden.

  11. Für das künftige Europa wünscht sich die überwiegende Mehrheit (70,6 %) den Erhalt der Mehrsprachigkeit, wobei ein knappes Drittel sich daneben eine gemeinsame Hilfs- und Verkehrssprache vorstellen kann. Nur 8.3 % wünschen eine einheitliche Europasprache.

  12. Was die erwünschte Stellung des Deutschen nach einigen Generationen angeht, ist das Meinungsbild nicht so deutlich. Fast jeder Fünfte (19 %) kann sich für die Zukunft die öffentliche Kommunikation in Deutschland auch in einer "Europa-Sprache" vorstellen und Deutsch auf den Familien- und Freizeitbereich beschränkt. Rund 40 % sehen in einer solchen Entwicklung Vor- und Nachteile ("teils/teils"), weitere 40 % bewerten sie als schlecht oder gar sehr schlecht.